Bildungsurlaub – Bildungszeit – Bildungsfreistellung. Fachtagung zu den Perspektiven für die politische Bildung in der Bildungsfreistellung
Mit der Fachtagung „Bildungsurlaub – Bildungszeit – Bildungsfreistellung. Perspektiven für die politische Bildung“, die am 12. und 13. Juni 2019 in Bovenden-Eddigehausen bei Göttingen stattfand, konnten die Veranstalter*innen gemeinsam mit den Referent*innen und den Teilnehmer*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen wichtige Diskussionen zum Thema anstoßen und Impulse setzen.
Die Fachtagung wurde vom Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten gemeinsam mit den beiden Mitgliedseinrichtungen Mariaspring – Ländliche Heimvolkshochschule e. V. und Haus Neuland e. V. geplant und in Mariaspring durchgeführt. Die Anregung dazu kam aus der AdB-Fachkommission Erwachsenenbildung, die das Positionspapier „Politische Erwachsenenbildung braucht Freiräume: Für eine Stärkung des Anspruchs auf Bildungsfreistellung in Deutschland“ erarbeitet hat, das im Sommer letzten Jahres vom AdB-Vorstand als gemeinsame AdB-Position verabschiedet wurde.
Die Tagung wurde eröffnet mit Impulsen von Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, und Ulrika Engler, Direktorin der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, und einer Gesprächsrunde zum Thema „Bildungsfreistellung als Motor für die politische Bildung?“. Thomas Gill hob hervor, wie wichtig es sei, dieses an die Arbeitswelt gekoppelte Instrument der Bildungsfreistellung zu nutzen, um gegen die soziale Ungleichheit zu wirken. Dazu sei es notwendig, neue Kooperationen einzugehen, z. B. mit Migrant*innenselbstorganisationen. In Berlin ist eine Novellierung des Bildungsurlaubsgesetzes geplant, bei der auch die Fragen von Benennung und Anerkennungsverfahren eine Rolle spielen werden. Es ist eine Kampagne geplant, die das Recht auf Bildungsfreistellung bekannter machen und das Image verbessern soll, die die Potenziale dieses Instruments stärkt und für die, die bisher keinen Zugang hatten, neue Zugangswege eröffnet. Auch die Niedersächsische Landeszentrale ist offen für eine solche Kampagne. Ulrika Engler regte an, die Gespräche mit Abgeordneten zu suchen, um das Ganze auf eine breitere Basis zu stellen.
Eine brandneue, qualitative Studie, die eine subjektwissenschaftliche Perspektive auf das Thema Bildungsfreistellung erlaubt, stellten Professorin Dr. Christine Zeuner und Dr. Antje Pabst von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, vor. Mit ihrer Forschung zur langfristigen biografischen Wirkung durch Mehrfachteilnahme an Angeboten der Bildungsfreistellung füllen sie eine wichtige Forschungslücke. Sie beschrieben Bildungsfreistellung als Initialzündung und Impulsgeber für die Weiterbildung der Menschen, für die biografische Entwicklung und das gesellschaftliche Engagement. Die Befragten in ihrer Forschung werden zu Multiplikator*innen für die Bildungsfreistellung. Sie bewerten ihr Erleben als sehr positiv.
In zwei Workshops zu Good Practice und rechtlichen Rahmenbedingungen hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, die praktischen Vorgehensweisen für Anbieter*innen zu diskutieren, sich über Hindernisse und Probleme auszutauschen, das Gespräch mit den Vertreter*innen aus den bewilligenden Behörden zu suchen, aber auch Themen politischer Bildung in der Bildungsfreistellung zu diskutieren. Gerade vor dem Hintergrund der Anerkennung bzw. Nicht-Anerkennung war die Frage relevant: Was verstehen wir (auf den verschiedenen Ebenen) eigentlich unter politischer Bildung?
Den Abschluss bildete eine Gesprächsrunde zum Thema „Bildungszeit deutschlandweit – Ein Gesetz für alle?“, bei dem viele der während der Tagung angesprochenen Aspekte noch einmal aufgegriffen wurden und weiterentwickelt werden konnten.
Nachdem im ersten Teil der Tagung vor allem die Mikro-Ebene der Teilnehmenden an Angeboten der Bildungsfreistellung und die Meso-Ebene der Anbieter*innen in den Blick genommen wurde, ging es nun darum, den Blick auf die Makro-Ebene zu lenken, auf der die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ebenso ging es aber auch darum zu überlegen, wie die Arbeitgebenden erreicht werden können, wie es gelingen kann, Bildungsfreistellung als Standortvorteil zu verstehen und die Weiterbildungskultur in Unternehmen weiterzuentwickeln. Wenn man auf die Veränderungen in der Arbeitswelt schaut (Stichwort: Arbeit 4.0), werden viele Themen für Arbeitnehmende ebenso für Arbeitgebende wichtig, die auch für die politische Bildung eine Rolle spielen: Verdichtung der Anforderungen, Digitalisierung, zunehmende Mobilitätsanforderungen, körperliche Belastung, aber auch Herausforderungen durch den demografischen Wandel etc. Aber nicht alle Themen werden in allen Bundesländern anerkannt.
Da es wahrscheinlich nicht möglich sein wird, zu einer bundesweit einheitlichen Gesetzgebung zu kommen, wäre eine Harmonisierung der Ländergesetze anstrebenswert. Das würde auf allen Seiten eine Vereinfachung und größere Klarheit schaffen, auch wenn die Gefahr von Abstrichen durch einen Minimalkonsens nicht unterschätzt werden darf. Überlegt werden sollte auch, inwieweit Instrumente wie der Bildungsscheck oder die Bildungsprämie genutzt werden können, um mehr Menschen für die politische Bildung in der Bildungsfreistellung zu gewinnen.
Das gesamtgesellschaftliche Interesse an einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Entwicklung, die durch Prozesse politischer Bildung in der Bildungsfreistellung unterstützt werden kann, war Anlass für die Organisator*innen der Tagung, sich dieses Themas anzunehmen und sich für eine Stärkung des Anspruchs auf Bildungsfreistellung und dort insbesondere der politischen Bildung einzusetzen. Die Tagung hat gezeigt, wie wichtig dieser Schritt war.
Ziele der Tagung (und ebenso des Positionspapiers) waren, das Recht auf Bildungsfreistellung bekannter zu machen, die Akzeptanz dafür zu erhöhen, auf die Harmonisierung der Gesetze und Anerkennungsverfahren in den Bundesländern hinzuwirken und damit die Unsicherheit bei Anbieter*innen und potenziellen Teilnehmenden sowie den administrativen Aufwand zu verringern. Es ging aber ebenso darum, den Mehrwert der Bildungsfreistellung für die Gesellschaft und für die Stärkung der Demokratie herauszustellen.
Am Ende der Tagung wurde deutlich, dass der AdB als bundesweiter Fachverband und seine Mitgliedseinrichtungen gefragt sind, das Thema auf der Tagesordnung zu halten, ihre Expertise einzubringen, das Gespräch mit den Ministerien, mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten weiterhin zu suchen und im Verbund mit allen relevanten Akteur*innen eine öffentliche Kampagne voranzutreiben. Wichtig ist es ebenso, neue Partner*innen (z. B. Sozialpartner*innen, Arbeitgeberverbände) einzubeziehen.
Wie aktuell und relevant die Diskussion dieser Tagung war, wurde auch daran deutlich, dass tags zuvor die Nationale Weiterbildungsstrategie veröffentlicht wurde, bei der die politische Bildung keine Rolle spielt. Hier gilt es, politisch aktiv zu werden und alles dafür zu tun, dass die politische Erwachsenenbildung und die Rolle der politischen Bildung in der Bildungsfreistellung gestärkt und für die Weiterentwicklung der Demokratie gesehen werden.
Friedrun Erben, Referentin für Kommunikation und Medien im AdB